Sonntag, November 02, 2008

Ohne Erinnerung keine Heilung

Predigt bei Subzone und Mosaik in Frankfurt:

Guten Abend, ihr Lieben. Ich kann mir vorstellen, dass einige von euch etwas ramponiert aus den vergangenen Monaten hervorgegangen sind. Zwar haben wir schon darüber geredet und ich habe versucht euch eine göttliche Perspektive der Geschehnisse zu vermitteln, aber jetzt ist das Ganze ja erst vorbei und da merkt man manche Verletzung vielleicht erst so richtig, so wie bei einem Muskelkater, den man ja auch erst viel später merkt. Das will manch einer vielleicht am liebsten einfach vergessen, einfach hinter sich lassen. Das darf man aber nicht, das ist durchaus gefährlich. Deswegen haben wir uns entschlossen einen Prozess einzuleiten und zuzulassen, in dem wir Raum geben wollen, dass Verletzungen hochkommen, bewusst werden, damit auch die Chance zur Heilung ergriffen werden kann.

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Ich möchte zwei Bibelstellen vorlesen. Ps 103,2+3a: “Ich will den Herrn loben und nie vergessen, wieviel Gutes er mir getan hat. Ja, er vergibt mir meine ganze Schuld.” Und Lk 7,41-43: “Ein reicher Mann hatte zwei Leuten Geld geliehen. Der eine Mann schuldete ihm 5.000 €, der andere 500 €. Weil sie aber zum festgesetzten Termin das Geld nicht zurückzahlen konnten, schenkte er es beiden. Welcher der beiden Männer wird ihm nun am meisten dankbar sein? Bestimmt der, dem er die grösste Schuld erlassen hat, antwortete Simon. „Du hast Recht!“, bestätigte ihm Jesus. Diese beiden Bibelstellen erzählen von der Wichtigkeit des Sich-Erinnerns für den Prozess der Vergebung und der Wiederherstellung. In dem gleichen Mass, wie das Sündersein des Menschen unsere Beziehung zu Gott zerstört hat, nimmt die Vergebung als die Erneuerung und Wiederherstellung dieser Beziehung die zentrale Stelle in jeder christlichen Verkündigung ein. Trotzdem ist es so, dass gerade bei diesem wichtigen Thema die Auffassungen weit auseinandergehen. Viele sind sich unsicher darüber, ob die Vergebung in ihrem Leben wirklich gegriffen hat, zumal wenn sie sich an ihre Sünden wieder erinnern. In der Vergebung geschieht die Nichtigmachung der geschehenen Sünde und der Sünder wird befreit aus der Herrschaft der Dunkelheit und darf nun im Reich des Lichts leben. Ich glaube, dass wir diesen Prozess niemals vergessen dürfen und ihn ständig vor Augen haben sollten und dass der Psalmist deswegen sagt: “Ich will den Herrn loben und nie vergessen, wieviel Gutes er mir getan hat. Ja, er vergibt mir meine ganze Schuld.” Als wir vor Jahren in Auschwitz waren, um Busse zu tun für die Schuld unserer Väter, die, wie wir erkennen mussten auch unsere eigene ist oder zumindest hätte sein können. da kam auf der Rückfahrt einer der Jugendlichen zu dem Leiter der Fahrt und fragte ihn: Warum müssen wir uns eigentlich dauernd mit unserer Vergangenheit beschäftigen? Heisst es nicht in 1.Joh 1,9: “Wenn wir unsere Sünden bekennen, ist er treu und gerecht, dass er uns die Sünden vergibt und uns reinigt von jeder Ungerechtigkeit.” Wenn wir also jetzt in Auschwitz um Vergebung gebeten haben, ist es dann damit nicht genug? Können wir es dann nicht ad acta legen und diese ganzen schrecklichen Dinge vergessen? “Ich will den Herrn loben und nie vergessen, wieviel Gutes er mir getan hat. Ja, er vergibt mir meine ganze Schuld.”

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Genau so fühlen wir uns oft auch in Bezug auf Verletzungen. Müssen wir da immer wieder drüber reden? Kann ich nicht einfach sagen: „Schwamm drüber.“ und dann ist es gut? Wie lange muss man denn mit solchen Sachen umgehen? Was ist überhaupt eine Verletzung? Eine Verletzung (grch Trauma) ist jede von außen einwirkende Beeinträchtigung der körperlichen, seelischen oder sozialen Integrität eines Einzelnen oder einer Gemeinschaft. Im AT gibt es 3 unterschiedliche und im NT 2 Wörter für Verletzung und Verwundung. Alle stehen nicht nur für körperliche Folgen von Gewalteinwirkung, sondern auch für die psychischen und sozialen Folgen einer Traumatisierung. Im AT zeigt besonders Jesaja auf, dass der Gemeinschaft und damit auch dem Einzelnen aufgrund der zerstörten Gottesbeziehung Verletzungen entstehen (Jes 1,6; 54,6) und dass eine Umkehr zurück in die Gottesbeziehung (Jes 30,26) heilen würde. Auch Gott kann traumatisiert werden: Jes 63,10 sagt, dass das Volk durch seine Abtrünnigkeit den Heiligen Geist verletzt hat, der als Mutter ja eigentlich das Bestreben hat, die Familie zusammen zu halten, so dass sie unversehrt und funktionstüchtig ist. Gerade da aber setzt die Verletzung an. Sie ist das Hervorrufen oder Steigern eines, wenn auch nur vorübergehenden, vom normalen Funktionieren eines Körpers abweichenden, Zustandes (Ps 109,22f). Dabei ist es unerheblich ob das betroffene Glied des Leibes Schmerzen erleidet. So kann selbst ein rechtswidriges Abschneiden der Haare schon den juristischen Tatbestand der Körperverletzung erfüllen. Wenn der Täter ein Opfer beschädigt, dann wird er außerdem nicht nur gegenüber dem Geschöpf schuldig, sondern er versündigt sich auch gegenüber dem Schöpfer, indem er die Schöpfungsordnung verletzt. Im Prinzip ist jede Handlung ohne die Einwilligung des anderen als Verletzung zu beurteilen, auch als Verletzung seiner Ebenbildlichkeit und in diesem Sinn dann als Verletzung Gottes (1.Kor 8,12).

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Was ist euch eigentlich passiert?

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Zwei, die euch versprochen haben euch zu leiten und euch einen sicheren Rahmen in der Jugendkirche zu bieten haben sich aufgrund eines Streits doch getrennt und einer davon hat euch allein gelassen. Damit hat es mal 2005 angefangen. Das war die Trennung Bernd-Mickey. Natürlich gibt es dazu viel darüber zu sagen, wie ich mich damals gefühlt habe und wie Bernd sich damals gefühlt hat und die eine Hälfte mochte in diesem Geschehen den Bernd lieber, die andere Hälfte mich. Aber das alles ist völlig nebensächlich für euch. Denn für die Gemeindeglieder der Jugendkirche bleibt übrig: Mickey Wiese war plötzlich weg und hat uns allein gelassen.

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2 Jahre später hat die Gemeinde, die die Jugendkirche bis dahin 9 Jahre unterstützt hat, nur 1 Jahr vor dem 10jährigen Jubiläum die Jugendkirche rausgeworfen. Das war 2007 die Trennung Gerold-Bernd. Auch hier ist wieder völlig nebensächlich was Gerold dazu bewegt hat oder was die Gemeindeglieder der Jugendkirche, die damals ins CZF gegangen sind, bewegt hat. Für die Gemeindeglieder der Jugendkirche bleibt übrig: Wir sind verlassen worden.

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Und nur 1 Jahr später nach dem 10jährigen Jubiläum im April bricht Bernd seelisch unter dem Druck all der nichtverarbeiteten Verletzungen der Vergangenheit zusammen und verlässt mit Oli zusammen die Jugendkirche und mit seiner Familie dazu die Stadt. Natürlich ist Bernd krank und kann nichts dafür. Aber das ist für die Gemeindeglieder von Subzone und Mosaik völlig nebensächlich. Denn für die bleibt unter dem Strich übrig: Zwei, die euch versprochen hatten euch in die Zukunft zu führen und große Dinge mit euch zu gestalten, haben euch alleine gelassen. Das war 2008, jetzt gerade erst, Bernd/Oli - Subzone/Mosaik. Das Projekt Subzone und Mosaik kam dadurch erheblich ins Schlingern und manch einer fühlte sich gar nicht mehr so sicher. Dazu ist eine Gemeinde aber da, dass man sich in ihr sicher fühlen kann.

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Heißt es doch 2.Tim 3,10f.: „Du aber bist genau meiner Lehre gefolgt, meinem Lebenswandel, meinem Vorsatz, meinem Glauben, meiner Langmut, meiner Liebe, meinem Ausharren, meinen Verfolgungen, meinen Leiden.“
Wenn einer so etwas sagt und es auch so meint, dann zeugt das im positivsten Fall von einem gesunden und im übernatürlichen Fall von einem geheilten Selbstvertrauen. Aber irgendwie kommt da in einem doch auch ein undefinierbares komisches Gefühl auf. Die deutsche Vergangenheit hat uns schließlich auch gelehrt, dass totale Nachfolge in’s Verderben führt. Jeder von uns könnte doch auch sofort mindestens eine erlebte oder gehörte Geschichte erzählen, wo eine solche Aktion schiefgelaufen ist und erhebliche Verletzungen hinterlassen hat. Es gibt geradezu unglaublich viele Leute mit denen ich ins Gespräch komme, die erlebt haben, dass sie irgendeinem geistlichen Leiter gefolgt sind, ihm vertraut haben, sich von ihm haben begeistern lassen und dann schmählich verraten, ausgenutzt und/oder verlassen wurden. Es gibt zwar keine statistischen Erhebungen darüber wie groß der Flurschaden ist, aber jede Seele, die im an sich positiven Prozess der Jüngerschaft verletzt wurde, ist eine zu viel. Und Leiter, die sich damit trösten wollen, dass Späne fallen wo gehobelt wird, erinnere ich an die Mahnung Gottes in Hes 34,1-6, wo Gott leere Kirchen und die allseits immer wieder beklagte Jüngerschaftsresistenz der Jugend geradezu ursächlich mit dem Missbrauch der Hirtentätigkeit verknüpft. Es ist kein antiautoritärer Geist der die Jugend in unserem Land davon abhält, die Segnungen von Jüngerschaft vertrauensvoll zu empfangen. Es ist vielmehr das, was Paulus an anderer Stelle beklagt, wo er ebenfalls Leute auffordert ihn nachzuahmen (1.Kor 4,15f.): Es gibt viel zu viele Zuchtmeister und zu wenige Väter. Das Misstrauen gegen Leute, die sagen: „Folge mir nach!“ ist dabei aber nicht nur auf Deutschland begrenzt und lässt sich auch nicht vordergründig einfach nur mit den Auswirkungen des 3. Reichs, der 68er Bewegung und dergleichen mehr erklären. Natürlich gibt das der deutschen Jüngerschaftsszene eine besondere Note, aber nicht zuletzt möge man sich an Derek Prince erinnern, der sich schon 1983 von einer durch ihn selbst mitinitiierten Jüngerschaftsbewegung ausdrücklich distanzierte.

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Derek Prince sagte dazu: „Ich glaube, dass wir den gleichen Fehler begangen haben wie die Galater: Wir haben im Geist begonnen und sind dann schnell ins Fleischliche degeneriert (Gal 3,3). Aus dieser Erkenntnis heraus tat ich Buße über meine Beteiligung an dieser irrtümlichen Bewegung und sagte mich davon los. Ich bedauere zutiefst, dass dadurch dem Leib Christi Schaden zugefügt wurde, der sich auch im persönlichen Leben vieler vielversprechender junger Männer und Frauen niederschlug.“

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Ich glaube, dass uns im CZF und in der Jugendkirche Subzone Ähnliches passiert ist. Wir kennen das Ausmaß der Verletzungen, die wir Leiter aus den unterschiedlichen Epochen verursacht haben noch nicht genau. Aber wir werden uns eines Tages dafür entschuldigen müssen.

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Aber auch das ist für die Gemeindeglieder von Subzone und Mosaik zunächst einmal nebensächlich. Für euch ist wichtig: Wie gehe ich denn damit jetzt um? Und da muss man erst einmal feststellen, dass es mindestens drei Gruppen gibt, drei unterschiedliche Möglichkeiten auf die geschehnisse der letzten Zeit zu reagieren. Die erste Gruppe trauert, weil sie Bernd und Oli lieb hatten und sich jetzt so fühlen, als seien sie ihnen weggestorben. Die zweite Gruppe fühlt sich gut, weil sie Bernd und Oli nicht mochten und denken: Das wurde ja auch Zeit, dass die mal weggekommen sind. Und die dritte Gruppe rekrutiert sich aus den beiden vorhergehenden Gruppen und sagt ganz pragmatisch: Schwamm drüber, wir können uns jetzt nicht länger damit befassen, wir haben eine Jugendkirche zu gestalten, und das braucht unsere ganze Energie. Dazu gibt es eine schöne Geschichte von einem Rabbi: Zu einem Rabbi kommt eine Frau und klagt ihm ihr Leid mit ihrem Ehemann. Und der Rabbi sagt zu ihr: Du hast Recht. Am nächsten Tag kommt der Ehemann zum Rabbi und klagt ihm sein Leid mit seiner Ehefrau. Und der Rabbi sagt zu ihm: Du hast Recht. Ein Schüler des Rabbis, der das alles mitbekommen hat, geht zum Rabbi und sagt: Rabbi, du hast beiden in ihrer Unterschiedlichkeit Recht gegeben. Das kannst du doch nicht machen. Und der Rabbi sagt zu ihm: Du hast Recht. Alle drei Gruppen haben Recht in ihrem Empfinden, weil es ihr Empfinden ist und dein Empfinden kann dir niemand nehmen oder verbieten. Es ist eben so in dir. Aber allen drei Gruppen muss man auch sagen: Es kommt die Zeit, wo du in einen Trauerprozess eintreten musst, um die Dinge auf deine Weise zu verarbeiten und dieser Trauerprozess dauert im Schnitt 2 Jahre. Und er besteht für alle drei Gruppen aus ca. 5 Stufen.

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….. Folien über Trauerprozess und die 5 Grundgefühle des Menschen ….



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Der Begriff Heilung (grch Therapeia) bezeichnet den Prozess, wenn etwas Verletztes wiederhergestellt wird. Dieser Prozess ist das Zusammenwirken mehrerer Faktoren körperlicher, seelischer, sozialer, oder göttlicher Natur. So, wie man umfassend verletzt werden kann, steht im AT das hebräische refuah (Raphael - Gott heilt) für Heilung auf allen Ebenen. Aber auch die griechischen Begriffe für Heilung im NT sind sehr interessant, weil in ihnen allen die Bedeutung „dem anderen dienen“ mitschwingt. Dieser Aspekt des Heilungsprozesses bindet den Geheilten in ein therapeutisches Beziehungsnetz ein. Das wird auch in der Aufforderung Jesu deutlich, den auferweckten Lazarus aus seinen einengenden Grabtüchern auszuwickeln. Manche Heilung wird sogar mit dem Wort für Errettung, sozein, beschrieben. Und so wie der Name des Erretters Jesus Rettung, Hilfe und Heil zugleich bedeutet, scheinen auch körperliche Heilung und geistliche Rettung aus ein und derselben Quelle zu fließen. Im Kontext der biblischen Berichte werden nicht nur die Schwäche des Körpers, sondern auch immer wieder die Schwäche des ganze Menschen, seine Armseligkeit, Unfähigkeit, Nutzlosigkeit und Bedeutungslosigkeit geheilt und auch seine wirtschaftliche Schwäche.

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Das grch Wort für Krankheit, asthenäs, bedeutet einfach Kraftlosigkeit und Schwäche unterschiedlichster Art. Ganzheitliche Heilung setzt auf verschiedenen Ebenen an, zielt aber immer darauf den Einzelnen und die Gemeinschaft wieder handlungsfähig zu machen, sie zu befähigen zu lieben, zu genießen, sich zu freuen und den Willen Gottes zu tun. Letztendlich ist das Ziel von Heilung die Herstellung einer göttlichen Ordnung und hört darum wohl auch erst in der Ewigkeit auf.

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