Sonntag, Mai 13, 2007

Konfirmation in Michaelis

Liebe Gemeinde, als Erstes eine Vision: Ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die Erde sind vergangen, und das Meer ist nicht mehr. Und ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott aus dem Himmel herabkommen, herausgeputzt wie eine geschmückte Braut für ihren Bräutigam. Und ich hörte eine laute Stimme, die sprach: Das ist die Wohnung Gottes bei den Menschen! Er wird bei ihnen wohnen, und sie werden sein Volk sein, und Gott wird selbst bei ihnen sein. Und Gott wird alle Tränen von ihren Augen abwischen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid, noch Geschrei, noch Schmerz. Denn das Alte ist vergangen! (aus Offb 21)

Liebe Konfirmanden, liebe Eltern und Verwandte, liebe Gemeinde, diese Vision ist eine von vielen Stellen aus der Bibel, mit denen Gott uns sagen möchte: Die Welt hat eine Zukunft! Ihr Konfirmanden habt eine Zukunft! Denn Gott wird die Irrungen und Wirrungen der Menschheitsgeschichte schließlich entknoten und einer überraschenden Lösung zuführen. Noch führt unser Weg oftmals durch Dunkelheit und Nebel. Oft spüren wir nichts von der Zukunft Gottes. Ja, manchmal sind wir richtig verwirrt, mutlos, einsam und leer und das vor allem in der vor euch liegenden Jugendzeit, liebe Konfirmanden. Aber die gute Nachricht ist: die Heimat liegt vor uns. Ich habe euch das vorletzte Woche schon gesagt und oft im Konfiunterricht: Es gibt eine Tür, die zum Leben führt und diese Tür ist Jesus Christus selber, der sagt: Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben, niemand kommt zu Gott als nur durch mich. Geht durch das enge Tor! Denn das Tor ist weit, das ins Verderben führt, und der Weg dahin ist breit, und viele gehen auf ihm. Aber das Tor, das zum Leben führt, ist eng und der Weg dahin ist schmal, und nur wenige finden ihn. „Wir sind noch nicht im Festsaal,“ hat Ernesto Cardenal, Priester und Politiker aus Nicaragua, einmal gesagt, „aber wir sind eingeladen. Wir sehen schon die Lichter und hören die Musik.“

Der Glaube ist wie eine Schatzsuche. Wir haben uns während der Konfizeit auf den Weg gemacht und ich habe versucht euch einige Schätze zu zeigen. Einige von euch haben diese Schätze auch schon ausgegraben und mit nach Hause genommen. Aber es gibt noch viel mehr für euch alle. Wer meint mit der Konfirmation sei Schluss, der irrt sich gewaltig. Die Beschäftigung mit Gott fängt jetzt erst richtig an. Die Schatzsuche des Glaubens führt uns auf eine abenteuerliche Lebensreise. Aber nicht nur das Ziel dieser Reise ist wichtig. In gewisser Weise kann man sagen: Der Weg selbst ist das Ziel. Ich habe es ja gerade gesagt, Jesus selbst hat sich als „Weg“ bezeichnet und der erste Name der alten Chri­sten war „Leute des Weges“. Dieser Weg wird kein leichter sein, singt Xavier Naidoo, aber wenn man ihn gemeinsam geht, ist er nur noch halb so schwer. Und natürlich können wir unterwegs auch immer wieder einmal Rast machen und uns stärken. Gute Begegnungen mit anderen Menschen, ein ergreifendes Naturerlebnis, Kunst und Mu­sik, Erfahrungen der Liebe und Freundschaft, Zärtlichkeit, Geborgen­heit und Ekstase, ein gutes Wort, ein gutes Essen und die Gemein­schaft mit anderen, die unterwegs sind – Gott kann alles benutzen, um uns einen Vorgeschmack auf das zu geben, was am Ende in der Ewigkeit auf uns wartet. Und es wird auch Verluste und Schicksalsschläge, Krankheiten und Entbehrungen, offene Fragen und ängstliche Zweifel auf dem Weg geben, das sind die Hindernisse und Stolper­steine. Manchmal verirren wir uns, wir fallen hin, wir machen Umwege. Aber es gibt immer einen Weg zurück. In jeder Niederlage steckt die Chance, zu wachsen und zu reifen.

Was ist der Sinn dieser Reise? Und welchen Unterschied macht es, ob ich als glaubender Christenmensch unterwegs bin oder einfach als Mensch, dessen Ziele scheinbar kürzer gesteckt sind und ganz im Diesseits liegen? Ist der Glaube nur ein Strohhalm der Hoffnung, eine Ausflucht vor der Aufgabe, hier und jetzt zu leben? Jesus ist tatsächlich gekommen, um dem einzelnen Menschen ganz persönlich Sinn, Orientierung und Halt zu geben im Leben. Aber darin geht Jesus nicht auf, das ist nur ein Etappenziel der Sehnsucht Gottes beim Bau seines Reiches. Gott hat die Welt geliebt, heißt es im Johannesevangelium. Ihm geht es um alle und um alles. In Gottes Plan mit der Welt sollen die Menschen, die den Namen Jesu tragen und bekennen, eine besondere Rolle spielen. Christus hat nicht nur sich selbst das „Licht der Welt“ genannt. Er hat densel­ben Titel seinen Freundinnen und Freunden gegeben: „Ihr seid das Licht der Welt“ (Mt 5,13). Deswegen hat die Welt von den Christen und von der Kirche etwas zu erwarten. Sie tut es auch – und ist häufig frustriert, weil diese berechtigten Erwartungen so selten eingelöst werden. Viele Christen lösen dieses Dilemma, indem sie sagen: „Schaut nicht auf uns, schaut nicht auf die Kirche, schaut auf Christus! Wir mögen zwar Versager sein und letztlich auch nicht viel anders als andere Leute – aber Christus ist der Herr der Welt! Wir leben von seiner Vergebung!“ Diese Entschuldigung ist - wie so oft - richtig und falsch zugleich. Es stimmt, dass wir Christen immer hinter Jesus Christus zurückbleiben werden, dass Scheitern und Versagen sozusagen zum Programm des Glaubenswe­ges gehören und dass uns am Ende nur Gottes Gnade errettet. Aber Dietrich Bonhoeffer, der lutherische Theologe und Widerstandskämpfer im 3. Reich, hat mit Recht darauf hingewiesen, dass diese „bil­lige Gnade“, mit der man alles rechtfertigen kann, in Wirklichkeit gar keine Gnade ist. Denn wirkliche Gnade verändert und schafft neue Möglichkeiten. Wirkliche Gnade ist nie die Bestätigung und Rechtfer­tigung von Unrecht, Trägheit und Stolz.

Gott verändert uns, indem er uns liebt. Er verurteilt uns nicht. Wir müssen ihm nichts beweisen. Wir müssen uns seine Zuneigung nicht verdienen. Die Schutzmecha­nismen und Überlebensspiele, die wir eingeübt haben, um uns zu schützen und über Wasser zu halten, haben ausgedient. Jetzt kann etwas wirklich Neues beginnen: Ist jemand in Christus, dann ist er ein neues Geschöpf. Das Alte ist vergangen. Etwas Neues hat begonnen! (2. Kor 5). Christus nimmt uns, wie wir sind - aber er lässt uns nicht, wie wir sind. Er führt uns in einen Prozess der Verwandlung. Er ermutigt uns, unsere alten, verbrauchten Verhaltensmuster abzule­gen und stattdessen die Freiheit auszuprobieren, die er uns zugesteht und eröffnet. Zu der „Sünderin“ aus Johannes 8 sagt Jesus zu­nächst: „Ich verurteile dich nicht!“ Freispruch! Aber dann folgt ein zweiter Satz, eine Herausforderung: „Und jetzt geh hin und sündige in Zukunft nicht mehr!“ Wird diese Frau nie mehr sündigen? Wahr­scheinlich schon. Und Jesus wird sie auch dann nicht verurteilen. Aber irgendwann wird für sie dieses destruktive Spiel mit sich und ande­ren Menschen sinnlos werden, die Faszinationskraft einbüßen, weil Jesus etwas viel Besseres anbietet. Jesus braucht befreite Menschen, um diese Liebe zu verströmen, um diese Botschaft von der Möglichkeit der Veränderung durch Liebe in die Welt zu tragen. Jesus braucht befreite Menschen, die nicht mehr verwickelt sind in die Mechanismen und Spiele der Welt: Konkurrenzkampf, Habsucht, Neid, Lustgewinn. Jesus sucht Jüngerinnen und Jünger, die leiden können, ohne beleidigt zu sein, die verzichten können, ohne zu meinen, sie kämen zu kurz. Jesus fragt euch, liebe Konfirmanden, ob ihr solche Leute sein wollt, gläubige Schatzsucher, die mit den anderen Menschen teilen, was sie gefunden haben. Weil Jesus dazu befreite Menschen braucht, ist er zunächst damit beschäf­tigt, uns aufzubauen, uns gleichsam „hochzupäppeln“, unsere Man­gelgefühle zu heilen. Das kann viele Jahre dauern. Und diese Zeit habt ihr, liebe Konfirmanden. Zum Glück ist unser Herr Jesus Christus, wenn es um unsere seelische Gesundheit geht, äußerst langmütig und geduldig und gewissenhaft. Manche Menschen setzen ihr Leben schon zu früh für andere ein. Sie geben sich weg, bevor sie sich überhaupt gefunden haben. Sie können sich selbst nicht lieben und wollen anderen dienen. So soll es euch nicht ergehen. Genießt das Leben und wachst zu reifen Persönlichkeiten heran.

Aber geizt auf der anderen Seite auch nicht mit euren Gaben, die ihr jetzt schon habt. Seid euch nicht zu fein, zu selbstbezogen, um das zu teilen, was ihr empfangen habt. Bringt euch in das Gemeindeleben der Michaeliskirche ein und segnet alle Menschen in Berkersheim mit der Liebe, die der allmächtige Gott in eure Herzen ausgegossen hat. Es gibt nun viele unterschiedliche Weg zu Gott, weil es viele verschiedene Charaktere und Temperamente gibt. Aber es gibt keinen Weg zu Gott ohne „Bekehrung“, Richtungsänderung, Umkehr und Schmerz. Darüber haben wir gestern abend noch einmal im Gemeindehaus geredet und gemeinsam auch ein Gebet zu Jesus Christus gesprochen. Trotz der Unterschiedlichkeiten der Menschen gibt es doch ein einheitliches „Muster“: die erste Reise, die Reise zur Konfirmation hin, führt uns zur Erkenntnis und Erfahrung, dass Gott uns liebt und mag, wie wir sind. Die zweite Reise, die Reise von heute an in die Zukunft eures Lebens, die Reise von der Konfirmation in das Leben als vollgültiges Gemeindeglied der Michaelisgemeinde in Berkersheim, diese zweite Reise beginnt, wenn uns Gottes bedingungslose Liebe infiziert hat und darauf drängt, durch uns hindurch zu fließen zu anderen Menschen hin. Liebe Konfirmanden, aber auch liebe Eltern und Verwandte, liebe Gemeinde, eine ganze Welt wartet auf diese bedingungslose Liebe Jesu. Deshalb braucht Gott Men­schen, die das alte Gebet nachsprechen: „Herr, mach mich zu einem Werkzeug deiner Liebe!“ Christoph Blumhardt, ein besonders geistbegabter schwäbischer Pfar­rer am Anfang des letzten Jahrhunderts, hat das so ausgedrückt: „Christen müssen sich zweimal bekehren: zunächst einmal von der Welt zu Gott. Aber dann auch wieder zurück zur Welt!“

Es gibt eine ganz spezifisch christliche Form, die Welt zu lieben, und das ist die Leidenschaft Gottes für diese Welt zu teilen.

Christoph Blumhardt zum Beispiel schloss sich als Pfarrer der Arbeiterbewegung an, die damals fast ausschließlich von Atheisten getragen wurde. Die Arbeiter hatten der Kirche enttäuscht den Rücken gekehrt, viele waren Atheisten aus Enttäuschung. Die Kir­che missbilligte Blumhardts Schritt und entzog ihm das Pfarramt. Sie verstand diese „Verweltlichung“ nicht.

Dietrich Bonhoeffer schloss sich während des Krieges dem aktiven politischen Widerstand gegen Hitler an. Auch diesen Schritt verstand die Kirche nicht. Sein Name erschien nicht auf den Fürbittenlisten, und noch lange nach dem 2. Weltkrieg weigerte sich zB ein lutherischer bayerischer Landesbischof, an der Einweihung einer Gedenktafel für Bonhoeffer im ehemaligen KZ Flossenbürg teilzunehmen.

Martin Luther King wurde durch den Glauben an die Spitze der Bürgerrechtsbewegung geführt, die um die Gleichberechtigung der amerikanischen Schwarzen kämpfte.

Mutter Teresa von Kalkutta verließ die Bequemlichkeiten ihres Klo­sters, um mit den Ärmsten der Armen zu leben. „Liebe muss wehtun“ lautete eine ihrer Devisen.

Diese Männer und Frauen, die wir mit Recht „Heilige“ nennen, bekehrten sich auf eine Weise „zur Welt“, die viele Kirchenchristen nicht nachvollziehen konnten. Und doch sind es gerade diese „weltli­chen“ Christen, voller Liebe und Leidenschaft für eine verlorene Welt, die dem Christentum einen Rest von Glaubwürdigkeit erhalten haben. Diese Menschen haben die „gute Nachricht“ nicht nur gehört, sie sind selbst zur „guten Nach­richt“ für die Welt geworden. Jesus hat zu seinen Leuten gesagt: „So wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch!“ Und an einer anderen Stelle: „Ich sende euch als Schafe mitten unter die Wölfe!“ Jesus mutet uns zu, dass wir folgendes glauben und leben: Liebe ist stärker als Hass; Gewaltlosigkeit hat den längeren Atem gegenüber der Gewalt; das Leben besiegt am Ende den Tod; was die Welt „Erfolg“ nennt, das muss schließlich scheitern; was nicht beachtet wird in dieser Welt, das findet Beachtung bei Gott.

Martin Niemöller, ein anderer christlicher Widerstandskämpfer aus der Hitlerzeit, hat versucht, in jeder Situation zu fragen: „Was würde Jesus tun?“ Das gibt es ja heute auch als Armbändchen in englisch: „What would Jesus do?“ Wie würde Jesus sich äußern zu Klimakatastrophe und Robbentod, zu Welthunger und Ehescheidung, zu Atomkraftwerken und Kriegen, zu Abtreibung und Kirchen­steuer, zu Homosexualität und Aids, zu Wohl­stand und Arbeitslosigkeit? Vor allem: was würde er tun oder nicht tun? Die Christen sind sich nicht einig darüber. Deswegen müssen wir gemeinsam suchen, fragen, streiten, beten, bis wir dem Willen Gottes näher kommen. Jesus hat uns dafür den Heiligen Geist verspro­chen, der uns „in alle Wahrheit leitet“, wenn wir ihn bitten.

Viele junge Christen sind in den letzten Jahrzehnten aufgebrochen, um genau das auszuprobieren. Es gibt eine unüberschaubare Anzahl von Jugendkirchen und Jugendbewegungen, lauter ehemalige Konfis, Ex-Konfirmanden, die sich auf die Schatzsuche des Glaubens gemacht haben, die nun ihren eigenen Weg, ihren eigenen Style suchen, Jesus in ihrem Alltag nachzufolgen. Allein in Frankfurt gibt es schon 3 Jugendkirchen: die katholische Jugendkirche Jona in Sachsenhausen, die evangelische Jugendkirche Sanktpeter mit ihrem Pfarrer Rasmus Bertram, den ich sehr schätze und die freikirchliche Jugendkirche Subzone beim Arbeitsamt, die ich selber gegründet und aufgebaut habe. Ich bin überzeugt, dass Gott jedem Menschen ganz bestimmte Gaben und Fähigkeiten gegeben hat, die unersetzliche Bausteine für Gottes neue Welt sind. Es ist nicht immer einfach, die eigene Gabe zu entdecken und ernst zu nehmen. Aber genau das ist eure Herausforderung, liebe Konfirmanden, jetzt nach der Konfirmation. Ihr müsst herausfinden, was jetzt „dran“ ist. Es ist eure Schatzsuche des Glaubens. Für die einen mag es wichtig sein, Aktivitäten aufzugeben und „in sich zu gehen“. Andere können plötzlich merken, dass es an der Zeit ist, sich aktiv zu beteiligen.

Wer Gott um „Erleuchtung“ bittet, wie der nächste Schritt aussehen soll, wird gewiss fündig werden. Eine Faustregel kann die Frage sein: „Was kann ich tun, um dem Leben zu dienen? Was kann ich tun, um der Wahrheit zu dienen?“ Denn Jesus nennt sich „das Leben und die Wahrheit“ und er will, dass alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit kommen. Das sind alle 3.287 Berkersheimer, oder alle 660.000 Einwohner von ganz Frankfurt, zumindest aber eben alle 67.000 Frankfurter Jugendlichen zwischen 14 und 24 Jahren. All die sollen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit kommen, und den Schatz finden, dass Jesus sie bedingungslos liebt. Darum geht es dem lieben Gott. Viel konkreter sind die An­weisungen des Evangeliums nicht. Aber diese Suche nach dem Leben – für sich selbst und für die ganze Welt – führt alle, die sich darauf einlassen, in immer neue Verwicklungen und Abenteuer mit sich selbst, mit Gott und mit den Mitmenschen. Dieses Abenteuer wünsche ich euch, liebe Konfirmanden und uns, liebe Gemeinde von ganzem Herzen. Amen

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